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Näht die Mütter zu

  • Luisa Gärtner
  • 2. Sept. 2024
  • 8 Min. Lesezeit

Wie man mit Menschen ist, die nicht mehr da sein wollen



Es gibt gute und schlechte Arten, an der Gesellschaft vorbeizuschwimmen, nicht zu ihr zu gehören. Suizidale Freunde zu haben ist eher eine schlechte, es selbst zu sein noch mehr.

Wie kann eine Freundschaft überleben, wenn eine:r nicht mehr leben will? Wenn man viel End of the Fucking World geguckt hat, wie Du sagst? Oder noch besser: indem die Gesellschaft ihr Enttabuisierungsversprechen endlich mal hält, und ich darüber jammern kann, dass dir gerade in der Psychiatrie die Vitalzeichen gemessen werden, wie meine Freundin über den gebrochenen Fuß ihrer Tochter. Davon sind wir aber weit entfernt.

 

After the Storm räume ich meinen Schreibtisch auf. Mein Nachbar lässt in Dauerschleife "Verschwende Deine Zeit" von Edwin Rosen laufen. Das war mal eins meiner Lieblingslieder. Ist es eigentlich immer noch, aber ich kanns gerade nicht fühlen. Weil ich mir das jetzt überhaupt nicht vorstellen kann, je wieder auf einer Schaukel zu sitzen und zu denken, man könnte seine Zeit verschwenden. Wie kann ich meine Zeit verschwenden, wenn Du heute vielleicht den Freitod wählst?

Bilder von Holland am Meer und Freunden rushen durch meinen Kopf, eine Schaukel, auf der ich dieses Lied gehört habe. Holland und nicht die Frage in meinem Kopf, ob Du morgen lebst – das fühlt sich ziemlich weit weg an.

 

Ich lege zwei Geburtstagskarten von Dir nebeneinander und sehe alles, was sich verändert hat, und alles, was gleich blieb, ganz genau. Alles, was passiert ist, schwimmt in unsichtbaren Teilen um mich herum. Was nicht passiert ist. 

Die eine Karte ist ein paar Jahre alt, Deine erste an mich. Deine Motivwahl wie für alle folgenden Zeiten wie die Faust aufs Auge passend, anders als so andere Geburtstagskarten, die man in Deutschland schnell im Rewe kauft, um sich der sozialen Scham zu entziehen, ohne Karte zu kommen (ich hab nie verstanden, warum man dann lieber Papier mit einer hässlichen KI-Sonnenblume verschwendet, die mit einem fetzigen, also unlustigen Spruch umrahmt ist). Deine Karten sind einer der Gründe, warum ich Dich liebe, du weißt immer, was mir gefällt. Du bist niemals wie alles, was mich an der deutschen Gesellschaft nervt.

Auf Deiner ersten Karte mein Lieblingsmaler, zwei Menschen, die uns ähneln. Du verbringst immer sehr viel Zeit mit diesen Karten, der Text mit Füller, Schreibschrift, perfekt. Deine Perfektion hat uns unterschieden. Ich kaufe zwar keine blöden Karten, bin aber grundsätzlich zu spät mit meinen selbstgebastelten Geburtstagsgeschenken, an Verpacken nicht zu denken, und lasse es gleich sein. Du bist grundsätzlich zu spät bei der Party, weil Du Dir zu viel Mühe mit dem Verpacken gibst.

 

Seit Du nicht mehr hier sein willst, sehen Deine Karten eher aus wie meine, nur dass Du Dich dafür schuldig fühlst. Keine KI-Blumen, aber Depression.

Die neueste Karte ist assoziativ, eine Aneinanderreihung von Zitaten. Der Füller verwischt, die Buchstaben krumm. Unser wildest life, schreibst Du, und ein paar Sachen, die Leser:innen nichts angehen... Genauso passend, und überhaupt typisch Du. Und doch nicht Du. Als Du sie mir gibst, sind wir beide schon wieder so müde. Ich hatte am Abend vorher Geburtstag und hab mich mit Dir allein getroffen, weil Du andere Menschen gerade nicht erträgst. Wir sind nah am Bett geblieben. Ich hatte ein Kleid an, um mir Würde zu bewahren, und Du ein Hemd, als wir auf diesem Bett liegen geblieben sind und erst Du geweint hast und dann wir Beide. In meiner Wohnung sein mit nur einer Person, die den Kopf auf mich legt und weint, das ist nicht typisch für meine Geburtstage. Das bin nicht ich. Bin doch ich. Ich bin das jetzt, denke ich, so ist es. Denn Du bist das jetzt. Ich streichle Deine Haare und denke, dass ich das akzeptieren kann.

 

Ich bin froh, dass Du mir alles, was deine Depression Dir eingeredet hat, immer gesagt hast. Zum Beispiel, dass Du mich liebst, aber das gerade nicht spüren kannst. Dass Du auch nicht spüren kannst, dass Du mir wichtig bist. Das macht es besser, wenn Du mich anpampst, weil ich in deiner Wohnung ein Buch in die falsche Ecke lege. Naja, zumindest irgendwie…

 

Du bist suizidal.

 

Das hast Du mir mitgeteilt vor ein paar Monaten, mit – wie sonst – einer Karte. Einem Zitat von Heiner Müller. Die Karte haben wir gratis auf einer unserer Reisen bekommen. Sie ist mega hässlich und soll irgendwelche Werbung für eine NGO machen. Du hättest sie nie gekauft. Ich hätte sie nie gekauft. Jetzt ist sie eine der wichtigsten Dinge, die ich je besessen habe. Der Prototyp der Fragilität des Lebens und ein unendlicher Vertrauensbeweis.

 

„Näht die Mütter zu, ich wär mir gern erspart geblieben. Reißt die Mütter auf, ich will Dir nicht erspart geblieben sein.“ Du hast Heiner Müller daneben gemalt, und uns.

Daneben ein TicTacToe von mir aus dem Flixbus (überforderte Antwort 101) und ein Kate Nash Albumtitel von mir, weil mir nichts besseres einfiel: „My best friend is you“.

 

Nachdem Du das geschrieben hast, schneidest Du mir die Haare. Mir erzählen an dem Tag ein paar Leute, dass wir immer so happy sind. Ich lächle. Ich heule auf dem Klo.

Ein paar Wochen später habe ich die Karte weggelegt, die wichtigste Karte meines Lebens, weil ich jetzt immer einen Kloß im Hals bekomme, wenn ich das lese. Es überfordert mich, dass man einen Menschen so lieben kann, dass man ihm sowas mitteilt. Eigentlich überfordert es mich aber nur, weil ich die Karte erst mal an eine Wand gepinnt habe, versucht habe, das in mein Leben zu integrieren. Schnell hab ich aber gemerkt, dass ich nicht möchte, dass meine Mitbewohnerin die Karte liest. Und dann konnte ich nicht mehr ertragen, dass sich mein Leben in meinem Zimmer mit der Karte und das Draußen wie zwei unverbindbare Dinge angefühlt haben. Ich hätte sie verbinden können, wenn ich drüber geredet hätte und wenn mich jemand verstanden hätte. Aber ich glaube, jede:r, der/die selbst psychisch struggled oder mit nahen Personen sowas aushält, weiß: Egal wie sehr wir behaupten, das Ganze zu entstigmatisieren: Niemand redet so über Suizidalität wie über einen gebrochenen Fuß. Nicht zuletzt, weil man andere nicht überfordern will. Aber auch, weil es die Gewissheit, dass man verstanden und unterstützt wird und sich das eigene Sozialleben nicht mit solchen Informationen belastet, einfach nicht gibt.

 

Deshalb rede ich fast gar nicht. Meine Freundin schreibt mir detailliert, dass sie mit ihrem Kind beim Arzt sitzt, und was es macht und hat. Du sitzt währenddessen neben mir im leeren Krankenhausflur, Kopf auf meiner Schulter, und ich schreibe niemandem darüber. Fassaden sind bröckelig.

Du sagst, als Du endlich im Zimmer bist (das ziemlich eklig riecht), das hier sei "the end of the fucking world-mäßig". Und das ist es. Sogar unsere Outfits passen. Vor allem fühlen wir uns aber wie Outlaws, das ist die Wahrheit. Dabei brauchen wir Hilfe und an der Häufigkeit gemessen, in der jemand sich so fühlt, sollte die eigentlich für uns erreichbar sein. Was hier gerade passiert, passiert mindestens 1/10 der Bevölkerung, mit jemandem sein oder selber jemand sein, der grad nicht mehr kann. Vielleicht wäre es nicht so weit gekommen, hätte uns früher irgendjemand an der Hand genommen, aber so richtig wusste das niemand (oder wollte niemand wissen?). Ich habe aber noch nie gehört, dass beim Mittagessen random gedroppt wird, dass einem schlecht von Escitalopram ist, oder dass man gerade leider mega pissig auf alle ist, weil alle einen nerven, seit man depressiv ist. Besser wärs aber. Ich hätte es ganz egoistisch gut gefunden, wenn ich, nachdem ich Dich in die Psychatrie gebracht habe, nicht mit Kapuze im Gesicht zu 'ner Freundin hätte laufen müssen, der man sowas erzählen kann, und Dich damit alleine mit einem sehr schizophrenen Typen hätte lassen müssen. Ich hätte es gut gefunden, wenn ich nicht manchmal wie ein Embryo auf einer Couch hätte liegen müssen, um klar zu kommen, das muss ich nämlich in all meinen anderen life struggles nie, sondern wenn mich überhaupt jemand gefragt hätte, vielleicht das Klinikpersonal oder so, ob ich was brauche. Aber es geht weiter, ich bin schon im Robomodus, denke daran, wann ich Dir Klamotten bringe und höre Sylvan Esso, um weiterzumachen: "If it's me, I cannot give up – I'd rather that she stayed".

 

Manchmal denke ich fast, ich verstecke Dich, aber auch Du versteckst Dich. Ich erzähle nur noch wenigen Leuten, dass ich zu Dir gehe oder mit Dir telefoniere, ich will nicht, dass jemand fragt, wie es Dir geht. Oder noch schlimmer, unsere alten Bekannten, die dann mitkommen möchten. Wie soll ich erklären, dass ich im Gegensatz zu früher niemanden zu Dir mitbringen kann, weil Du depressiv bist und Dich das passiv aggressiv macht oder Du Dich für jeden Scheiß schämst?

 

Imagine, eine Dinnerparty und einer sagt: Wie fühlst Du Dich? Hast Du immer noch das Bedürfnis, Dich am Stromkabel aufzuhängen? Haha.

Und für mich gibts auch keine Legitimation von Support oder Krankheitstagen in irgendjemandes Kopf, wenn ich die ganze Nacht wach war, weil Du… So pauschal zu sagen, dass das niemand wissen will, ist natürlich Quatsch, natürlich haben nicht alle die gleichen Gedanken, aber keine Person will selbst diese Gedanken und mir ist sehr bewusst, wie viele Leute sich von der schieren Existenz psychischer Krankheiten fernhalten. Ich tue ihnen den Gefallen, nicht drüber zu sprechen und sage auf der Arbeit, ich müsse meinen Vater pflegen, wenn was mit Dir ist. Imagine, denke ich manchmal, ihr seid so jung und schon…

 

…gibt es doch das Damoklesschwert und es hängt über mir in ganz kleinen Momenten. Ich spüle Dein Geschirr und frage mich, ob ich meine Spotify Playlist ändern sollte, weil ich Angst habe, dass Taxi Cab von Twenty One Pilots Dich triggern könnte.

 

Internetartikel von für mich moralisch etwas fragwürdig argumentierenden Personen raten mir, mich abzugrenzen. Die einzige Person, mit der ich diesbezüglich eine sinnvolle Konversation habe, ist Deine Mutter, mit der ich erstmal paar schlechte Karaokesongs singe, und ihr irgendwann danke, dass sie Dich gemacht hat, und die mir dankt, dass ich da bin. Das wars. Ist halt so, wenn man jemanden liebt, sagen wir, und ich sage das nächste Treffen ab, um mit Dir eine Pizza zu essen, wenn Du Ausgang hast. Einerseits ist es gut, sowas zu beschließen. Zu beschließen, ich bin da, komme was wolle, und ich hinterfrage das nicht, nur weil Du Dich vielleicht umbringst.

Einerseits und andererseits, sagt Tevje der Milchmann in Anatevka. Einerseits geht das. Andererseits verändert es mich.

 

Keiner will über Suizidalität sprechen. Das ist ein Problem. Du willst es FUCKING auch nicht, natürlich nicht, besonders nicht, wenn ich Geburtstag habe, besonders nicht, wenn Deine Reise dadurch abgesagt werden könnte. Aber du kannst es Dir nicht aussuchen.

 

Wir bauen Aquarien für die suizidalen Fisch-Menschen, die an der Gesellschaft nicht vorbeischwimmen können, und ihre loved ones.

Sie kommen in Krankenhäuser. Dort essen sie schlechtes Buttergemüse, bis sie wieder entlassen werden. Dann hat das Buttergemüse sie gesund gemacht, schätzt die Krankenkasse.

Natürlich musstest Du ins Krankenhaus. Aber ganz ehrlich, eigentlich weiß ich nicht, ob das stimmt. Natürlich gibt es Selbstgefährdung. Aber vielleicht wäre es für Dich cool gewesen,  Du hättest nicht so tun müssen, als ob Du sie nicht hast, und Dich nicht verstecken müssen, bis man Dich endlich ins Aquarium gebracht hat.

Das Problem ins Krankenhaus abschieben, das ist sinnvoll, wenn es Dir hilft. Mir hätte es geholfen, wir hätten es so integrieren können wie das Knochenödem unserer Freundin, das nicht heilen will. Aber das geht nicht. Du liest mir ein Gedicht über Deine Suizidgedanken vor und ich gehe danach zur Arbeit. Die Welt wird zu Lego. Auf das ich mitten in der Nacht trete, bis wir uns selbst geholfen haben.

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