Für viele Menschen ist Stille kaum auszuhalten
- Caro
- 13. Dez. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Apr. 2024
Mein Verhältnis zu meiner Schüchternheit

Mein ruhiges Verhalten wurde in der Schulzeit häufig kommentiert. Mal beiläufig oder direkt in einem Gespräch: Warum ich denn so schüchtern sei. Ich solle mehr reden und nicht so still sein. Solche Kommentare brachten mich aber nie dazu, mehr zu sagen. Im Gegenteil, sie verunsicherten mich und setzten mich unter Druck. Ich war jedes Mal enttäuscht von mir und traurig, dass ich andere mit meiner ruhigen Art störte. Vor allem, wenn ich mich selbst gut fühlte und die Gespräche interessiert verfolgte. Wenn ich mich selbst als Teil der Gruppe wahrnahm und mich auf meine Art und Weise an den Gesprächen beteiligte – auch wenn es „nur“ durch ein Lächeln oder ein zustimmendes Nicken war. Ich wollte nicht so sein wie ich („ruhig“, „still“, „schüchtern“), sondern so wie die anderen, die sich laut und selbstbewusst äußerten. An vielen Events fühlte ich mich alleine, obwohl Menschen um mich herum waren. Ich war genervt von mir, wenn ich nichts sagte, obwohl ich so viel zu sagen hatte, wenn ich zitterte, obwohl ich souverän wirken wollte.
Mein Verhältnis zu meiner Schüchternheit hat sich im Laufe der Jahre verändert.
Auch jetzt gibt es Tage, an denen ich schüchtern bin, an denen ich Angst habe, neue Leute kennenzulernen oder keine Kraft und Lust habe, mich auf sie einzulassen. An solchen Tagen finde ich es anstrengend und herausfordernd, mich an Gesprächen zu beteiligen und sie aufmerksam zu verfolgen.
Mein Verhältnis zu meiner Schüchternheit hat sich allerdings im Laufe der Jahre verändert. Ich habe gemerkt, dass es Gründe gibt, warum ich schüchtern bin, denn in vielen anderen Kontexten genieße ich es, unter Leuten zu sein, bin entspannt und lache viel. Wenn ich mich danach fühle, albere ich herum, rede unaufhörlich und gehe auf Menschen zu – ein Teil von mir, den nicht jede Person kennenlernt.
Schüchterne Menschen
sind wütend und laut
sind gesprächig und lustig
sind zurückhaltend und leise
sind schüchtern
und vieles mehr
Meine Schüchternheit signalisiert mir, wie es mir geht, ob ich mich bei den Leuten, die mich umgeben, sicher fühle, ob die Situation neu ist und vieles mehr. Sie ist eine Reaktion auf meine Umwelt und teilt mir meine Grenzen mit. Durch sie lerne ich mich besser kennen.
Meine Schüchternheit signalisiert mir, wie es mir geht.
Nach langen Selbstzweifeln weiß ich, dass Kommentare, ich solle nicht so schüchtern sein, grenzüberschreitend und nicht supportend sind. Warum soll ich mich als schüchterne Person anpassen? Warum nicht inklusiv denken und auf schüchterne und zurückhaltende Menschen eingehen? Warum ist Stille für viele Menschen kaum auszuhalten?
Ich suche nun aktiv nach Räumen, in denen ich schüchtern und laut sein kann, so wie ich mich gerade fühle, in denen meine Grenzen respektiert werden. Dort, wo schüchtern sein okay ist, wo ich mich traue, meine Grenzen und Ängste mitzuteilen. Ich schaue mich nach Menschen um, die mir Raum geben, ohne dass ich ihn mir erkämpfen muss – ich mochte noch nie Gespräche, in denen sich Personen unterbrechen und übertönen, als ob sie sich gegenseitig auf die Füße träten. Und diese Räume gibt es.
Ich suche nun aktiv nach Räumen, in denen ich schüchtern und laut sein kann, so wie ich mich gerade fühle.
Ich fühle mich wohler, wenn Personen zurückhaltend sind, wenn Pausen zwischen dem Gesagten entstehen, wenn ich einer Person begegne, die auch errötet, wenn sie sich äußert, die zögerlich fragt, ob sie mich zum Abschied umarmen kann.
Bist du manchmal schüchtern? Wie gehst du damit um?
Ein Text von Caro – ZaronurmitC
Erstveröffentlicht auf Caros Blog

Caro ist Gründerin des Blogs ZaronurmitC. Sie studiert im Master Angewandte Linguistik und arbeitet bei PINKSTINKS, der Bildungsorganisation in Hamburg. In Interviews spricht sie mit FLINTA* über ihre Arbeit, Sichtweisen und Erfahrungen – denn häufig kennen wir nur die Geschichten von Menschen, die weiß und männlich sind – und schreibt über Mental Health, Antidiskriminierung und Selbstreflexion. Zu verschiedenen Fragestellungen sammelt sie Möglichkeiten, wie wir unsere Privilegien nutzen und gemeinsam ins Handeln kommen können.
Titelbild: Dezaldy Irfan, Unsplash